Koalitionstreue der SPD bis zum Untergang?

Verleugnet sich die SPD in der Großen Koalition selbst?
Was kommt am Ende raus?

Ein ungutes Gefühl beschleicht viele Sozialdemokraten, selbst diejenigen, die mit der Großen Koalition einverstanden waren. Warum?

Darum! Weil sich eine SPD-Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles anmaßt, einen Gesetzesentwurf einzubringen, der die im Grundgesetz verankerte Tarifpluralität beseitigen will. Dem DGB zuliebe? Wohl kaum.

Darum! Weil ein SPD-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag namens Thomas Oppermann unisono mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Kauder tönt, der Streik der Lokführer in der GdL (Gewerkschaft der Lokomotivführer) sei unangemessen und schädlich? Für wen schädlich?

Sogar die zur GdL in mittelbarer Konkurrenz stehende DGB-Gewerkschaft Ver.Di. sieht den unnötigen Vorstoß von Andrea Nahles als kontraproduktiv im Sinne der Arbeitnehmer an.
Originalzitat auf ver.di NEWS Nr. 16/2014: „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat Anfang November große Bedenken gegen den Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums zur Tarifeinheit angemeldet und ihn abgelehnt:„Tarifeinheit ist grundsätzlich erstrebenswert, damit Beschäftigte nicht gegeneinander ausgespielt werden; aber das müssen wir mit gewerkschaftlichen Mitteln erreichen“, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske.“

Die Wirtschaftsweisen sind wieder unterwegs

Ein weiterer aktueller Anlass für ungute Gefühle ist die Hinnahme von harscher Kritik der sogenannten Wirtschaftweisen an dem, was die Sozialdemokraten als Bedingungen für die Große Koalition verhandelt haben.

Diese Dinge werden als Negativposten auf dem Tableau serviert, das als Jahresgutachten des „Sachverständigenrats“ zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2014/2015 einher geht. Eigentlich müsste das, was dort aufgetischt wird, die SPD-Regierungsvertreter und SPD-Parlamentarier auf die Palme bringen.

Seit 1963 nehmen diese „Weisen“ die Gelegenheit wahr, die Interessen ihrer Auftraggeber, den deutschen Wirtschaftverbänden, gegenüber der Bundesregierung zu vertreten.

Wenn z.B. die so genannten „Wirtschaftsweisen“ den ab 1. Januar 2015 geltenden Mindestlohn von 8,50 €/Stunde, die Einführung der abschlagsfreien Rente ab 63 Jahren oder auch die Ausweitung der Mütterrente als Gründe für die angebliche Eintrübung der Konjunktur darstellen, dann fragt man sich, warum die hinter den „Wirtschaftsweisen“ versteckten Heckenschützen nicht lautstark genannt werden.

Albrecht Müller, Kanzlerberater und Planungschef der ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt wird es uns nicht verübeln, wenn wir an dieser Stelle eine Kommentierung seiner „Nachdenkseiten“ (www.nachdenkseiten.de) verwenden, um auf eine alljährlich wiederkehrende Schmähschrift gegen die lohnabhängig beschäftigte Bevölkerung hinzuweisen.

Wenn Dr. Wolfgang Lieb (* 1944 in Stuttgart) Jurist, Publizist und ehemaliger Politiker (SPD) und Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Nordrhein-Westfalen, als verantwortlicher Redakteur der Nachdenkseiten dieses regelmäßig über 400 Seiten starke Pamphlet als Arbeitgeberpropaganda bezeichnet, dann belegt er das auch detailliert.

Wolfgang Lieb nennt sie: „Um zu diesem Befund zu kommen, hätte es auch gereicht die Pressestellen der Arbeitgeberverbände, Herrn Henkel von der AfD oder die professoralen Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) anzurufen. Da ist die Wirtschaft durch den Glauben an die „Märkte“ weltweit an die Wand gefahren, das hindert den „Sachverständigenrat“ nicht, als Titel für sein Jahresgutachten „Mehr Vertrauen in Marktprozesse“ zu wählen. Das Credo der Mehrheit dieser „Ökonomen“ scheint zu sein: „Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Ideologie nicht folgt.“

Da bedeutet das Ausscheren eines Mitgliedes des Sachverständigenrats, Professor Dr. Peter Bofinger, von der Linie dieser lobbyistisch gesteuerten Kleingruppe lediglich die Rechtfertigung dafür, dass man ja auch Soziales zur Geltung kommen lässt. Die Durchsetzung der sozialen Orientierung Bofingers scheitert jeweils an der Minderheitsposition im Sachverständigenrat.

Nur Koalitionstreue zählt;
Überzeugung: Leermeldung bei Merkel und Co.

Weniger erfreulich für das sozialdemokratische Fußvolk ist auch, dass die SPD in der Großen Koalition mehr oder weniger sprachlos die massive Kritik an ihren Errungenschaften, wie eben Mindestlohn, abschlagsfreie Rente ab 63, Ausweitung der Mütterrente und weitere soziale Ansätze, als wirtschaftsschädlich hinnimmt.

Es dringt zu sanft durch, wenn die eher nicht zu den Leitmedien zählende niedersächsische Tageszeitung Hannoversche Allgemeine schreibt, die SPD stelle die Wirtschaftsweisen infrage.
Originalüberschrift: „Moderne Denkfabrik oder ideologischer Professoren-Club? Seit einem halben Jahrhundert beraten die „Wirtschaftsweisen“ die Regierung – die SPD hat jetzt genug von ihnen.“

Wo bleibt die tatsächliche lautstarke Empörung von Gabriel und Co.?

Da hilft auch Merkels mild-kritische koalitionskonforme Äußerung nicht weiter, wenn sie damit die Thesen der Ökonomen vordergründig abschwächt.
„Sie hält die These, dass der Mindestlohn, der erst 2015 kommt, jetzt schon für das flaue Wachstum mitverantwortlich sei, für ziemlich steil“, wird sie von der Hannoverschen Allgemeinen zitiert.

Alles in Allem besteht für die Sozialdemokraten im Lande, und nicht nur für diese, ein unterschwelliges und stärker werdendes Unbehagen über die spürbare Fremdbestimmung der Parteivorderen.
Spannend wird es auch wieder in Thüringen, wenn es dort zu einer rot-rot-grünen Regierungsbildung kommt. CDU/CSU laufen sich im Verein mit den deutschen Leitgazetten schon warm und lauern darauf, dass sich das hessische Ypsilanti-Drama wiederholt. Den Sozen ist alles zuzutrauen; den Grünen aber auch!

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6 Kommentare zu Koalitionstreue der SPD bis zum Untergang?

  1. Alfred Schwede, Oberemmel sagt:

    zu „die Wirtschaftsweisen sind wieder unterwegs“

    Die sieben Weisen, nicht zu verwechseln mit den sieben Zwergen, obwohl ich die letzteren schon als kleiner Bub in mein Abendgebet mit einschloss.
    Da ich als Neurentner mehr Zeit habe beschäftige ich mich jetzt auch mehr mit meinen Steckenpferd der Politik und denen die sie machen.
    Ich bin ein großer Freund des politischen Kabaretts und dessen Polemik.
    Deshalb fließt das auch schon mehr oder weniger in meinen Schreibstil ein.
    Die sieben Waisen, pardon Weisen.
    Ein versprengter Haufen die wissen, wo es zukünftig lang geht.
    Einer der früheren Weisen der schon verstorben ist, Gott sei seiner Seele gnädig, war der Chefökonom der deutschen Bank Norbert Walter.
    Chefökonom, eine seltsame Berufsbezeichnung. Word weiß nichts damit anzufangen.
    Früher trat Norbert Walter oft in TV Sendungen auf und diskutierte wild und verbissen bis zu Buhrufen aus dem Studio-Publikum, was ihn dann erst richtig wütend machte.
    Denke mal was ihn so wütend machte war wohl das, dass seiner vermeintlichen Intelligenz nicht hinreichend gewürdigt und gehuldigt wurde.
    Dachte mir schon, seinerseits ein Glück, dass der keinen entscheidenden Einfluss auf die deutsche Politik nehmen kann. Aber man weiß nicht was hinter verschlossenen Türen ablief.
    Aber er hat gesät.
    Sein früherer Assistent C. Linnemann, ein jüngeren Schlaumeier der CDU, tritt in seine Fußstapfen.
    Linnemann ist mir schon in einigen TV-Sendungen mit seinen starrköpfigen Einlassungen aufgefallen.
    Pluralismus ist ihm bestimmt fremd. Er predigt Hegemonie für eine herrschende Klasse respektive Elite (Mittelstand) auf Kosten der werktätigen Bürgerinnen und Bürger.
    Beschimpft uns, die Rentner mehr oder weniger als Diebe, weil die jüngeren unsere Rente bezahlen müssten.
    Dieser selbsternannte Messias (Klugscheisser) kommt mir gerade recht. Ich fühle mich nach meinen 50 Jahren und drei Monaten in sozialpflichtiger Arbeit verunglimpft und beleidigt.
    Die Einwände, dass die jetzigen Rentner auch in die Rentenkasse eingezahlt hätten lässt er nicht gelten.
    Das treibt doch einem die Zornesröte ins Gesicht und ich sage es mal mit einfachen Worten „der hat sie doch nicht alle“!
    Er wird ja nicht eines Tages bei den 7 Wirtschaftsweisen auftauchen?

    So nun gehe ich zum Hoffmanns Jupp. Da treffe ich bestimmt mehr als 7 Wirtschaftsweisen und dann wird diskutiert beim Schoppen.
    Vielleicht bist auch du da.

  2. Alfred Schwede, Oberemmel sagt:

    Das ist mal wieder ein „Egon“ der Sonderklasse.
    Scharf beobachtet und noch besser kommentiert.
    Mich stört nur die Formulierung „GroKo“ etwas, denn dieses stammt ja wohl von der Bildzeitung.
    Die Bildzeitung das Sprachrohr der CDU, Meinungsmacher und Volksverdummungsblatt aller höchsten Güte und das nicht nur seit Bönisch.
    Dieses Blatt hat ein Normalbürger- Leser in 10 Minuten komplett durch mit dem vollständig ausgefüllten Kreuzworträtzel.
    Aber lieber Egon mache weiter so, du schreibst mir aus meinen Herzen. Es ist aufgestaute Wut in mir die mich deine Worte lesen lassen und es geht mir runter wie Sahne.
    Denn mein Herz schlägt links.
    (Nach unseren ehemaligen, der Saar Oskar in einer Kolumne in Bild.)

    Bleib am Ball
    Schöne Grüße Alfred Schwede

    • Egon Sommer sagt:

      Manchmal braucht man den nötigen Schubs. Die unliebsame Formulierung ist aus dem Beitrag entfernt.
      Egon Sommer, 17.11.2014

  3. Martin Möller sagt:

    Lieber Egon, der Vorstoß von Andrea Nahles zur Tarifeinheit stößt bei meinen (ehemaligen) Betriebsrats-Kollegen auf Ablehnung. DieMinisterin ist dabei, ein heilloses Chaos anzurichten. Und wenn schon Tarifeinheit – wo bleiben die Gesetze gegen Unternehmensaufspaltung, Tarifflucht und ähnlichen Unternehmer-„Späßen“ (ich weiß, da gibt es Verfassungs-Hürden, aber die gibt es bei der Tarifeinheit auch)?Meine Gewerkschaft DJV hat die große Mehrzahl der Journalisten bundesweit hervorragend vertreten, hat Haustarife erkämpft (z. B. auch für den Trierischen Volksfreund), unterstützt die Freien. Nach dem neuen Gesetz wird sie in einigen Zeitungsbetrieben die Minderheit und in anderen die Mehrheit stellen. Dann haben wir, dank Nahles, eine Tarifpluralität bundesweit – Betriebe, die einen Verdi-Tarif haben und andere mit einem DJV-Tarif. Wer diese Zersplitterung will … Gute Nacht.

    Martin Möller

    • Alfred Schwede, Oberemmel sagt:

      Ja, unsere Andrea
      Sie war einmal unsere Hoffnungsträgerin, steile Aufsteigerin vom linken Flügel.
      Sie jagte den Münte vom Hof. Welch eine Großtat für viele von uns.
      Dann wurde es ruhig um sie, zu ruhig.
      Erst als sie vorm Mikrofon im Bundestag stand, war sie wieder in aller Ohren und Boulevard- Blätter und zur Volksbelustigung vorgeführt.
      Vielleicht von ihr eine gute Idee, was keiner von der SPD ihr übel nahm, aber die Häme der Anders- „Gläubigen“ war für uns, dem Parteivolk doch etwas, gelinde gesagt, ein Tritt in den Hintern oder auf neudeutsch „fremdschämen“.
      Wenn ich sie im TV Sender sehe im Dunstkreis von „Mutti“, wie sie ehrfurchtsvoll zur sogenannten mächtigsten Frau der Welt mit etwas gesenkten Haupt aufschaut, denke ich mir „oh Andrea“. (Körpersprache)
      Es tut mir etwas Leid um sie, aber mit ihrer unqualifizierten Einmischung in den Eisenbahner Streik und Tarifkonflikt hat sie sich einen Bärendienst erwiesen.
      Ich sehe in solchen nicht genügend durchdachten Schnellschüssen, nur um einer gewissen Klientel zugefallen, eine große Gefahr, dass sich noch mehr Wähler von unserer SPD abwenden.
      Das ist meine persönliche Meinung und Auffassung.

      • Alfred Schwede, Oberemmel sagt:

        „Minnesängerin Andrea, nicht Berg, sondern Nahles“

        Habe ganze vergessen, in meinem vorher gegangenen Kommentar zu schreiben, dass es hier u.a. um die Gesangseinlage von „uns Andrea“ im dt. Bundestag geht.

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